UX Writing – was ist das?


Der Text auf einem Button, die Fehlermeldung bei einer falschen Formulareingabe – die meisten User achten gar nicht darauf. Sie nutzen Apps und Websites ganz intuitiv. So soll es auch sein, denn es hat bereits jemand anders darauf geachtet, dass User ein smoothes Erlebnis haben und schnell zum Ziel kommen. Dieser Jemand trägt die Berufsbezeichnung “UX Writer”. In diesem Blog-Artikel erfahren Sie, worum es bei “UX Writing” geht.

Artikel von

 

Carina Felsberger

Senior UX Writer
4 Minuten Lesezeit05. März 2024

Im engeren Sinn ist UX Writing der Prozess des Schreibens von sogenannter “UX Copy” oder auch “Microcopy”: Buttons, Eingabefelder, Schritt-für-Schritt-Anleitungen, Fehlermeldungen, Benachrichtigungen, Warnungen, Formulare und noch vieles mehr. Was sich halt alles so auf der Benutzeroberfläche von Apps oder Websites an geschriebenen Worten befindet.

Mehr dazu erfahren Sie in meinem Blog-Artikel Microcopy: Kleiner Text mit grosser Wirkung.

“Schreibst du noch schnell die UX Copy”

Sätze wie diesen bekommen wir UX Writer oft zu hören. Doch schnell noch die Worte für die Buttons, Eingabefelder und Anleitungen hinzufügen ist nicht das, was UX Writing ausmacht. Um Felder ohne Grammatik- und Rechtschreibfehler zu beschriften braucht man in Wahrheit keinen UX-Spezialisten. Vielmehr geht es bei UX Writing um die richtige Kommunikation, die den Usern Orientierung gibt und die Markenpersönlichkeit transportiert.

Daher umfasst die Arbeit eines UX Writers neben dem eigentlichen Schreiben noch ein paar weitere, sehr wichtige Aufgaben.

Bildquelle: Mindnow

Beispiel: LoFi-Wireframes in Whimsical

Aufgaben im UX Writing

Um jemandem zu erklären, was ein UX Writer denn so macht, ist es am einfachsten, wenn ich meinen Bildschirm herzeige. Ein Blick auf die vielen Mobile Screens und wie sie zusammenhängen und es wird klar: Es geht um User-Flows.

Klickt der User zum Beispiel auf einem Screen auf “Passwort vergessen”, geht der Flow zum Screen “Passwort-Reset” weiter. Jeder mögliche Klick führt zu einem neuen Screen und die Worte, die da stehen (etwa “Gib dein neues Passwort ein”), die hat der UX Writer (das bin ich!) da hingeschrieben.

Manche Flows sind natürlich komplexer als jener des Passwort-Vergessens, etwa Onboardings oder Bezahl-Checkouts. Ausserdem macht das Tippen von Worten in einem Wireframe noch lange kein UX Writing. Denn bis es überhaupt dazu kommt, ist im Hintergrund schon sehr viel passiert.

Bildquelle: Carina Glinik

Mein Arbeitsplatz – grosser Bildschirm und eine ordentliche Tastatur gehören zur Grundausstattung beim UX Writing

Es beginnt mit UX Research

Lange bevor überhaupt das erste Wort geschrieben wird, wurde schon sehr viel recherchiert. Damit die Texte, die auf die Screens kommen, optimal auf die Bedürfnisse der User zugeschnitten sind, muss man diese Bedürfnisse zuerst einmal herausfinden und verstehen. Und zwar so genau, dass es im UX Design eine eigene Disziplin dafür gibt: UX Research.

User-Interviews und User-Tests sind am Anfang der Entwicklung eines digitalen Produkts extrem wichtig und müssen auch laufend weitergeführt werden. Klingt nach viel Arbeit? Ist es auch! Und genau aus diesem Grund schreibt man nicht “noch schnell die UX Copy”.

Wer macht UX Research?

Ich als UX Writer bei Mindnow habe das Vergnügen, dass wir üblicherweise spezialisierte UX Researcher im Team haben. Bei grossen Projekten ist das echt super, denn die UX Researcher können sich voll und ganz darauf konzentrieren, wie die User ticken, was sie brauchen und was sie frustriert. Manchmal wird diese Aufgabe auch vom UX Writer oder UX Designer miterledigt. Wer eine Ausbildung für UX Writing oder UX Design macht, kommt um UX Research sowieso nicht herum und sollte wissen, wie’s geht. Je kleiner das Team, desto mehr Aufgaben hat eine einzige Person.

Bei uns als Agentur sind UX Writer, UX Researcher und UX Designer jedoch fast immer verschiedene Personen mit entsprechend tiefem Know-how.

Wo auch immer die Informationen über die User herkommen – ob von der Kollegin, vom Kunden oder selbst recherchiert – die Ergebnisse der UX Research sind der Grundstein für das, was UX Copy ausmacht.

Bildquelle: Emiliano Vittoriosi

Ohne Voice and Tone ist es nicht “UX Writing”

Spätestens wenn durch UX Research die Personas feststehen, ist es an der Zeit, sich im Voice-and-Tone-Workshop mit der eigenen Markenpersönlichkeit auseinanderzusetzen.

Voice and Tone bezieht sich auf die Persönlichkeit einer Marke (Stimme) und die Art und Weise, wie diese Persönlichkeit in verschiedenen Situationen zum Ausdruck kommt (Ton). Die Stimme einer Marke sollte konsistent sein und ihre Werte widerspiegeln, während der Ton je nach Kontext variieren kann, um eine emotionale Verbindung zu den Usern herzustellen.

UX Writer schreiben im Prinzip für 2 Zielgruppen mit 2 unterschiedlichen Zielen. Das liegt in der Natur von digitalen Produkten, bei denen 2 Parteien miteinander kommunizieren: die User und die Organisation, die hinter dem Produkt steckt. Diese beiden gilt es zusammenzubringen. Daher teile ich unsere Voice-and-Tone-Workshops immer in 3 Teile:

Teil 1: Die User
Im Idealfall ist dieser Teil lediglich ein Ins-Gedächtnis-Bringen der vorhandenen Research. Im Rahmen eines Workshops arbeite ich auch gerne mit dem Persona Tool von Hubspot.

Teil 2: Die Organisation
Praktische Übungen zur Markenpersönlichkeit. Nur wenn klar ist, wer die Marke eigentlich ist, kann man festlegen, wie sie sich gibt.

Teil 3: Die Sprache
Klarstellung, wie die Organisation mit den Usern kommuniziert. Auch die Tonalität in verschiedenen Situationen (z. B. Produkt-Update, Krisen-Situation etc.) sollte im Rahmen dieses Workshops festgelegt werden.

Screenshot of a table with dimensions of voice and tone (in German)
Bildquelle: Mindnow

Beispiel: Folie von einer Übung in einem Voice-and-Tone Workshop

Nicht ohne meine Guidelines

Am Ende des Workshops packe ich die wichtigsten Punkte in ein Handout, an dem sich das ganze Team (vor allem Content Creation, Marketing und Design) orientieren kann.

Die tollsten Voice-and-Tone-Guidelines bringen nichts, wenn sie nie mehr jemand anschaut. Stellen Sie also sicher, dass dieses Dokument gut auffindbar ist und nicht irgendwo in einem Unterordner verschwindet. Am besten bearbeiten Sie es laufend weiter und fügen immer wieder aktuelle Beispiele hinzu. Auch andere Informationen wie etwa Farbcodes oder Schriften dürfen mit dazu. Je mehr Gründe es gibt, dieses Dokument immer wieder einmal durchzusehen, desto besser.

UX Wireframes – LoFi, HiFi & Teamarbeit

Jetzt sind wir an dem Punkt, der ganz offensichtlich zum UX Writing gehört: die Buttons, die Eingabefelder und die Schritt-für-Schritt-Anleitungen auf den Wireframes. All diese Textelemente hat der UX Designer bereits beim Durchdenken und Draften angeordnet und Platzhalter-Copy eingefügt. Die Platzhalter sind manchmal sehr hilfreich (wie z.B. “Hier steht eine Erklärung, warum der User seinen Ausweis fotografieren muss”), manchmal weniger (“Lorem Ipsum”). Ist nicht klar, welchen Zweck die Platzhalter erfüllen sollen, halte ich Rücksprache mit dem Product Owner. Teamfähigkeit – übrigens auch ein wichtiger Skill als UX Writer.

Je nachdem, wie früh oder spät ich als UX Writer ins Projekt einbezogen werde, ersetze ich die Platzhalter durch “richtige” UX Copy entweder in den Low-Fidelity Wireframes (z. B. mit Whimsical) oder in den High-Fidelity Wireframes (z. B. mit Figma). Am besten ist beides – schon früh in den Low-Fidelity-Wireframes mit UX Copy arbeiten und im High-Fidelity-Design nochmals anpassen.

Beispiel: High-Fidelity Wireframes in Figma

UX Copy – je früher desto besser

Je früher sich jemand Gedanken übers Wording macht und den Aufbau oder die (womöglich fehlende) Existenz von Textfeldern in Frage stellt, desto besser. Bei LoFi-Wireframes sind Änderungen wesentlich leichter umzusetzen und der UX Writer kann sich mehr einbringen – ein Benefit, auf den in der Praxis leider oft verzichtet wird. Während dies bei einfachen Websites kein Problem darstellt, wird es umso kritischer, je komplexer die digitale Anwendung ist.

In meinen mittlerweile über 4 Jahren als UX Writer bei Mindnow habe ich bereits an einer breiten Palette an UX-Projekten mitgewirkt. Von frühen Drafts in Whimsical bis zu “Schreibst du noch schnell die UX Copy” am Projektende war alles dabei. Klar, Arbeitsstunden kosten etwas und wenn der UX Writer von Anfang an mit dabei ist, werden es mehr. Die User Experience wird aber eine bessere sein und ich bin davon überzeugt, dass sich dieses Investment bezahlt macht.

Dasselbe gilt übrigens auch für die Investition in UX Research – der Schlüssel zum Erfolg.

Editing ist mehr als Fehler korrigieren

Okay, angenommen, ein Projekt muss auf der dünnsten Sparflamme überhaupt über die Bühne gehen. Keine UX Research, keine Voice-and-Tone Guidelines und UX Writing erst im UI Design. Diese App wird wohl keinen Download-Rekord brechen, aber sie ist vielleicht benutzbar. Wenn es wirklich nur das absolut denkbare Minimum sein darf, dann holen Sie sich doch zumindest fürs Editing einen UX Writer ins Boot.

Editing ist die Iteration der UX Copy, in der man sicherstellt, dass sie die Ziele erreicht. Klar, Grammatikfehler checken sollte man auch. Aber das geschieht nebenbei und es gibt sowieso Tools dafür. Editing im Sinne von UX Writing bedeutet beim Ersetzen der Platzhalter folgendes sicherzustellen:

  • Klarheit: Die UX Copy ist für die User klar und verständlich. Sie wissen stets, was sie zu tun haben, um ans Ziel zu kommen.

  • Prägnanz: Die User sind nicht hier, um zu lesen. Die ideale Länge: So wenig wie möglich, so viel wie nötig.

  • Dialog: Im "Gespräch" zwischen dem User und der Anwendung kommt die Markenpersönlichkeit heraus.

Der letzte Punkt lässt sich natürlich nur überprüfen, sofern eine Markenpersönlichkeit überhaupt erst definiert wurde, z. B. im Voice-and-Tone Workshop.

Auf jeden Fall sollte das Editing in den UX Wireframes und nicht in separaten Tools gemacht werden. Nur so kann man ein Gespür für Anordnung, Prominenz sowie angemessene Textlängen entwickeln. UX Writing ist nun mal Teil des UX Designs und sollte damit einhergehen.

Das gleiche gilt übrigens auch für Übersetzungen: Tools wie Localazy sind super praktisch, aber sollten nicht verwendet werden, ohne dem Übersetzer oder der Übersetzerin genügend Kontext zu geben. Im Idealfall hat die Person Zugang zu den Wireframes und kann dort direkt Texte einsetzen, um verschiedene Varianten im Design auszuprobieren.

In der Schweiz sind wir sehr routiniert im Umgang mit der Übersetzung von digitalen Produkten. Da hier gleich 3 Amtssprachen + Englisch üblich sind, entwickeln wir fast jedes Produkt in mindestens 2 Sprachen.

UX Writing und die Schweiz

Als ich diesen Artikel im September 2022 erstmals publiziert habe, habe ich zu diesem Screenshot geschrieben: “Ein Blick auf Google Trends lässt vermuten, dass man in der Schweiz noch eher als Early Adopter durchgeht, wenn man sich mit UX Writing auskennt – was für eine Chance!”

September 2022: nicht genügend Daten in Google Trends für die Suche “ux writer”

Update 2024

Da hat sich etwas getan in der Schweiz! Gut, im Mainstream angekommen ist der Begriff “UX Writing” eher noch nicht, aber eines ist klar: Das Interesse steigt.

Screenshot of Google Trends on UX Writing in February 2024

2024: bis zu 100 Suchanfragen für “ux writing” in einer Woche

UX Writing ist ein Thema in der Schweiz. Das merken wir als Agentur auch bei den Gesprächen mit (potenziellen) Geschäftspartnern. Immer mehr Organisationen erkennen den Wert guter UX Copy und welchen Unterschied es macht, wenn sie strategisch eingesetzt wird. Schliesslich bringen UX Writer Wissen und Best Practices mit ein, die einem Produkt das Sahnehäubchen verleihen können und das spricht sich immer mehr herum.

Auch innerhalb unseres Teams ist durchgedrungen, dass UX Writing einen Mehrwert schafft. War hier anfangs noch viel Aufklärungsarbeit nötig, werde ich mittlerweile bei immer mehr Projekten von Mindnow zur Mitarbeit eingeladen. Ein bisschen früher im Prozess würde ich mir noch wünschen, aber wir sind immerhin auf einem guten Weg.

Ein paar konkrete Beispiele, wie Sie UX Writing sofort einsetzen können, um als seriöses Unternehmen wahrgenommen zu werden, finden Sie in meinem Blog-Artikel 5 Tipps für bessere Microcopy.

Natürlich dürfen Sie sich auch gerne direkt bei mir melden, falls Sie noch eine Frage zu UX Writing haben.