Warum so viele KI-Projekte scheitern und wie Sie es besser machen


Digitalagenturen berichten häufig, wie enttäuscht ihre Kunden und Kundinnen auf “eigentlich tolle digitale Tools“ reagieren. Oft passieren die Fehler ganz am Anfang und die Enttäuschung ist vorprogrammiert. Warum so viele KI-Projekte so schwache Ergebnisse zeigen, will ich Ihnen anhand des Vergleichs mit einem Fussballspiel erläutern.

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Artikel von

 

Christoph Heidt

Innovation & Transformation Enthusiast
4 Minuten Lesezeit29. Apr. 2024

Die digitale Transformation ist die seit langem grösste Herausforderung für Unternehmen und Organisationen weltweit. Viele Unternehmer und Unternehmerinnen tun sich sichtlich schwer damit und sind unzufrieden mit ihren bisher erzielten Ergebnissen. Wie kann es sein, dass so viele digitale Projekte scheitern bzw. Unternehmen so wenig zufrieden mit dem Erreichten sind? 

Die Antwort beruht auf 2 Aspekten: Wissen und Erwartung.

Oft fehlt es an Wissen darüber, was eine (digitale) Transformation wirklich ist, wie sie geplant, orchestriert und implementiert werden muss, um “erfolgreich“ sein zu können. Fehlendes Wissen führt dann zu falschen Erwartungen an die digitale Transformation. Was heisst eigentlich “erfolgreich“? Wenn ich nicht weiss, was Transformation ist, wie sie abläuft und was Erfolg für mich bedeutet, sind realistische Erwartungen nicht möglich. Enttäuschung ist unausweichlich.

Als Entrepreneur, Entwickler, und Innovations-Enthusiast mit jahrzehntelanger Erfahrung im Aufbau und Führen von Unternehmen war Christoph Heidt schon an vielen Projekten rund um KI und digitale Transformation beteiligt. Mit der Netzwerkagentur PUNKT.AI hilft er Unternehmen, falsche Denkmuster aufzubrechen und die Hürden, die die Digitalisierung mit sich bringt, zu überwinden.

Der Fehler steht am Anfang

Die meisten “Digitalstrategien“ in Unternehmen und Organisationen starten mit einem “digitalen Lieblingsprojekt“ (meistens vom Chef). Sei es eine App, die man jetzt auch unbedingt haben möchte, “weil alle so etwas haben“ oder ein digitaler Showroom, der aus einem angestaubten Textilunternehmen eine vermeintlich dynamische Marke machen soll. In beiden Fällen gibt es zwar ein “Warum”, doch ist dies eine Begründung, die nichts taugt.

Würde man die genannten Beispiele mit Fussball vergleichen, dann wäre es in beiden Fällen in etwa so, als würde man das Spiel in der 85. Minute beginnen und dann aber schon gerne das für das eigene Team entscheidende Tor sehen wollen, das in der 90. Minute fallen würde.

Vor der 85. Minute ist schon viel passiert

Bis zur 85. Minute war aber schon reichlich Spiel, die Mannschaften haben hart gearbeitet, viel versucht, manchen Fehlpass und manche Traumkombination gespielt. Sie haben das Publikum wie auch die Trainer mal zur Verzweiflung, mal zur Begeisterung getrieben. Und nicht zu vergessen: Vor dem Spiel lagen viele Wochen und Monate mit enormem Trainingsaufwand, Vorbereitungsspielen, Reisen zu Trainingslagern usw.

Sie sehen, vor der 85. Minute, ja sogar bevor das Spiel überhaupt angefangen hat, lag enormer Aufwand. Und selbst wenn die Mannschaft das Spiel dann in der 90. Minute gewinnt, ist das auch nur die letzte Minute vor der 1. Minute des nächsten Spiels.

Auf die langfristige Planung kommt’s an

Mit der digitalen Transformation ist es gleich. Man muss nicht nur die Regeln des Spiels kennen, sondern auch langfristig planen, anstatt sich nur auf die letzten 5 Minuten zu konzentrieren. Es braucht den richtigen Trainer und reichlich Mitspieler, die alle auf ihren jeweiligen Positionen geschult, mit der Taktik vertraut und mit Spielpraxis ausgestattet sind. Und alle brauchen vor allem eins: Das Vertrauen, dass sie es gemeinsam schaffen werden.

Für eine erfolgreiche digitale Transformation muss ich diese als den sehr langen und sehr aufwändigen Prozess betrachten, der er ist. Zudem ist es ein Prozess, der nie endet (“nach dem Spiel ist vor dem Spiel“), der genau geplant werden muss (Strategie-Roadmap) und der viel Taktikstudium und Analyse (Daten) erfordert. Digitale Transformation verlangt Experimentieren, Ausprobieren, Scheitern und Neuanfang (innovative, agile Organisationskultur). Wenn ich all dies nicht verstehe, aber Siege mit 4 oder 5 Toren Unterschied erwarte, dann ist meine Enttäuschung über den 1:0 Sieg in der 90. Minute (Tools und Anwendungen) gross. 

Genau das ist das Problem: Die digitalen Tools sind “nur” das Tor in der 90. Minute.   

Habe ich nun weder eine Vorstellung über die Zukunft (Vision), noch einen Plan, wie ich diese Zukunft erreichen kann (Mission), dann kann ich auch nicht festlegen, wie ich dahin komme (Strategische Roadmap). Dann ist aber auch jede Ergebniserwartung (gleich, ob 1:0 Sieg oder 6:2) wie Lottospielen.

Tools alleine machen keine Transformation

Starte ich also mit einem digitalen Tool als Ziel (zum Beispiel damit eine App haben zu wollen oder einen digitalen Showroom), dann ist das keine digitale Transformation, sondern Lottospiel. Es kann gut gehen, wahrscheinlich aber eher nicht. Während beim Fussball viele meinen, genau zu wissen, wie es gehen müsste, meint das bei der digitalen Transformation eher niemand. Vereinzelte wagen sich vor und verlangen das Tor aus der 90. Minute, und zwar sofort.

Über 80 % der Unternehmen geben an, sich schwer bis sehr schwer mit der Entwicklung digitaler Produkte und Dienste zu tun bzw. erst gar keine zu entwickeln.

Laut einer Bitcom-Studie geben 52 % aller Unternehmen in Deutschland an, den Einsatz von KI noch nicht mal in Erwägung zu ziehen – schlicht, weil sie keine KI-Strategie haben. Was einerseits sehr vernünftig ist – dann geben sie wenigstens ihr Geld nicht für Unnützes aus – andererseits laufen sie damit jedoch Gefahr, ihre Zukunft zu verspielen. Im Fussball würde man sagen: Wenn ich mich nicht mit Training, Analytik, Spielorganisation und Matchplan befasse, ist der Abstieg unausweichlich.

ChatGPT ja, doch KI-Strategie Fehlanzeige

Unternehmen sollten sich ernsthaft die Frage stellen, warum es in ihren Unternehmen Marketing- und Vertriebsstrategien, IT-Strategien oder auch Strategien für die Logistik gibt – jedoch keine Digitalisierungs- oder KI-Strategie. Dies mutet umso seltsamer an, als dass die meisten Unternehmen Digitalisierung und KI als eine der wichtigen Zukunftstechnologien identifiziert haben. Dass manche zumindest begonnen haben, sich in das Thema einzudenken, zeigt die Entwicklung der ChatGPT-Nutzung in Unternehmen. Diese ist von 150’000 im Januar 2024 auf 600’000 im April 2024 deutlich angestiegen. Auf das Fussball-Beispiel übertragen: Hier haben manche zumindest schon mal den “Kicker“ abonniert und können die Tabelle lesen.

Stellen Sie Ihren Matchplan auf

Zurück zur Ausgangsfrage: Wieso sind so viele Unternehmen unzufrieden mit umgesetzten digitalen Tools und Lösungen? Nun, wenn diese Digital-/KI-Projekte in den Unternehmen zwar pilotiert, aber nicht im ganzen Unternehmen ausgerollt wurden (weil es dazu gar keinen Matchplan gab) und so nur als “Insellösung“ (das Lieblingsprojekt vom Chef) gar keine Chance hatten, ihr volles Potential auszuschöpfen, konnten echte Erfolge nur ausbleiben.

Alle statt einige Wenige

Es war dann halt nur das “Chef-Projekt“ und nicht das “Projekt aller“. Dazu kommen weitere unternehmensinterne Gründe: eine oft zersplitterte und teils veraltete IT-Infrastruktur, fehlende Schnittstellen zwischen den Systemen und eine unzureichende Qualität der zudem unvollständigen Daten. Deshalb ist es umso wichtiger, Digitalisierung und KI nicht für einige Wenige zu denken, sondern für alle.

Beim Fussball steht auch nicht der Vereinsvorstand allein mit einem Trainer auf dem Matchplatz. Ein Team braucht alle – Verein, Trainerteam, Analytiker, Taktikexperten, Mediziner, Ernährungswissenschaftler, Spieler, auch die auf der Ersatzbank, sogar Fans und Zuschauer, die das gleiche Ziel (Vision) vor Augen haben. Wenn alle an dieses Ziel glauben, alle den Matchplan (Mission & Roadmap) akzeptieren, dann wird das 1: 0 in der 90. Minute ein Erfolg und entsprechend gefeiert. Dann weiss die Mannschaft auch, dass sie ihr entscheidendes Tor in der 90. Minute schiessen wird – gleich wie oft sie zuvor das Tor verfehlt haben wird (Mindset). Der Matchplan ist klar, die Taktik wird unterwegs angepasst – schliesslich steht man nicht allein auf dem Platz.

Digitale Transformation muss zur zentralen Verantwortung der Unternehmensführung werden, bei vollem Rückhalt der Eigentümerseite (weil es halt lange dauern wird, bis “das 1:0 fällt“ und sehr viele Ressourcen beanspruchen wird). Die Führung erarbeitet mit einer breiten Masse an Stakeholdern gemeinsam eine (Digital-KI-)Strategie-Roadmap und sorgt dafür, dass alle diese Roadmap verstehen und an das Ziel glauben. Sie sorgen auch dafür, dass alle Mitarbeitenden ihre Rolle kennen und wissen, dass sie am Ende das Tor schiessen müssen und werden.

Die Daten zu kennen ist essenziell

Wie das Tor fällt, ergibt sich im Spiel – das heisst aber auch: Wir starten zwar im festen Glauben, dass dieses Tor fallen wird, wissen aber zu Beginn noch nicht, ob wir es selbst schiessen oder ob es ein Eigentor wird, ob es ein Fernschuss, Kopfball, Abstauber oder Elfmeter sein wird. Alle wissen aber, dass es dieses 1 zu 0 geben wird. Neben der IT-Infrastruktur sind die Existenz und Beschaffenheit der Daten essenziell. Wie soll ich mein Spiel und das des Gegners analysieren, wenn ich weder mich noch den Gegner kenne? KI besteht aus Algorithmen, und diese können nicht ohne entsprechende Daten arbeiten. Somit gehört zur KI-Strategie die Festlegung, welche Daten das Unternehmen systematisch sammelt, wo diese gespeichert sind, wie wir daraus Informationen gewinnen, wer darauf Zugriff erhält und wie diese sich sichern lassen.

Zudem muss die Datenqualität sichergestellt sein, denn oft sind die Datenbanken voll von Dubletten, Abkürzungen, fehlenden Werten oder unterschiedlichen Masseinheiten. Mangelnde Datenqualität führt letztlich dazu, dass KI-Anwendungen entweder nicht ihr volles Potential entfalten oder im schlimmsten Fall sogar falsche, enttäuschende Ergebnisse liefern. Das Beispiel zeigt: Am Ende kann sogar ein Sieg in der letzten Minute enttäuschend sein.

Bildquelle: Erik Geiger

Digitale Projekte sind wie Fussball: Wenn alle an das gemeinsame Ziel glauben und den Matchplan akzeptieren, wird die Mannschaft ein Tor erzielen.

Fazit: Beziehen Sie alle mit ein und fangen Sie vor der 85. Minute an

Der Appell geht erneut an die Unternehmer*innen und Unternehmensführer*innen: Setzen Sie auf die Intelligenz der Masse. Sie spielen Ihr Spiel nicht nur für Sie selbst, sondern für viele andere – vor allem für jene, die Ihnen im Stadion zujubeln und Eintrittskarten, Trikots und digitale Live-Übertragungen kaufen. Binden Sie diese “vielen anderen“ in Ihre Überlegungen und Festlegungen mit ein.

Technologie macht Menschen nicht überflüssig. Richten Sie Ihre Technologie noch stärker auf Menschen aus und nutzen Sie das Wissen aller, um Ihren technologischen Vorsprung weiter auszubauen. Es gibt dafür erfolgreiche Modelle, die Ihnen dabei helfen.

Ein Fussballspiel beginnt nicht in der 85. Minute. Lassen Sie Ihre KI-Strategie daher auch nicht in der 85. Minute beginnen.

PUNKT.AI ist die 360° Netzwerkagentur für Innovation, Strategie & (digitale) Transformation. Die Mindnow AG ist dabei Partner für KI-gesteuerte Applikationen und Anwendungen.

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